Die Anzahl hochgeladener Trainingseinheiten auf Strava & Co. geht seit Beginn der Corona-Pandemie durch die Decke, doch das Körpergefühl bleibt auf der Strecke. Auf den digitalen Trainingsplattformen werden durchschnittliche Wattleistungen, NPs, FTPs KOMs und sogar Höhenmeter verglichen. Ausdauersportler nehmen immer öfter an virtuellen Rennen teil, deren absurde Herausforderungen im digitalen Everesting gipfeln. Ausdauersportarten werden immer öfter indoor im Wohnzimmer oder Keller, ja sogar in aufwendig eingerichteten Pain Caves auf dem Ergometer oder Laufband durchgeführt, deren Trainingserfolg einzig an banalen Zahlen oder dem maximalen Schweißverlust fest gemacht wird. Der gesundheitliche Benefit des Ausdauertrainings für Körper und Geist weicht der Technik, die sportliche Bewegung in der Natur und an der frischen Luft rückt das Körpergefühl in den Hintergrund. Das Training als banales Mittel zum Zweck.

Um Missverständnisse auszuschließen: Ich bin ein großer Fan von digitaler Technik und Innovationen, die uns, den Trainer*innen und Athlet*innen die Planung und Durchführung sowie die Steuerung und Analyse des sportlichen Trainings erleichtern und es verbessern. Jedoch sollte deren Einsatz im Training nachhaltig geplant und strukturiert sein, sodass es uns in unserem Tun vor allem da sinnvoll unterstützt, dort, wo es uns wirklich nützt. Vor allem von Freizeitsportlern. In meinem Kommentar stelle ich das bewusst überspitzt dar, um eine mitunter groteske Entwicklung einer Sportart zu skizzieren, deren Faszination eigentlich vom Kampf mit sich und den natürlichen Elementen lebt. Zu differenzieren ist der berufsbedingte Einsatz digitaler Technologien im Sport, wie bei Trainern gegeben.

NICHT AUF JEDEN TRENDZUG AUFSPRINGEN

Doch mit Beginn der Corona-Pandemie ist diese Entwicklung ähnlich exponenziell wie die Inzidenz des Covid19-Virus. Meine Kritik zielt deshalb in erster Linie auf die stark zunehmende sinnfreie Nutzung digitaler Trainingsmöglichkeiten und das Posten banaler Zahlen zum Zweck der persönlichen Selbstdarstellung anstelle qualitativen Contents. Meine Kritik zielt also keineswegs auf die zahlreichen digitalen Trainingsplattformen, Technologien und virtuellen Rennanbieter ab. Sie schaffen absolut fantastische neue technische und hochwertige Möglichkeiten, deren optimale Vermarktung ist schließlich ihr Job.

Wer für einen realen Triathlon, für einen IRONMAN oder eine Challenge im Sommer trainiert, der sollte nicht bei jeder Gelegenheit auf jeden Trendzug aufspringen, der durchs Dorf rollt, um dadurch sein eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren. Einige Hobbytriathleten kopieren, simulieren oder imitieren sogar eins zu eins manche Trainingsmethoden von Profis, vom Materialeinsatz ganz abgesehen. Wir alle kennen schließlich den oder die Athlet*In, die in jeder ihrer Trainingseinheiten persönliche Rekorde aufstellen, aber am Tag X in ihrem Saisonhighlight, dann wenn’s zählt, spektakulär explodieren.

ENTWICKLUNG EINES POSITIVEN KÖRPERGEFÜHLS

Alle diese digitalen „Spielereien“, ob auf Zwift, Rouvy, Sufferfest und den vielen diversen digitalen Trainingsplattformen können durchaus besondere Vorteile für die Motivation haben. Die Ergebnisse virtueller Challenges sagen jedoch selten etwas über die tatsächliche Leistungsfähigkeit aus. Sie können auch kaum eine Prognose für die Leistungsentwicklung oder Vorhersage für den Renntag sein. Das Problem liegt dabei meist in der Spontanität und oder unstrukturierten Planung und Umsetzung solcher Trainingseinheiten durch die Sportler selbst.

Viele Triathleten können sich in ihr digitales Training so sehr hineinsteigern, dass sie dabei den Blick aufs große Ganze verlieren: Die gesamte Trainingsplanung aller drei Disziplinen mit dem Fokus auf Tag X, das geduldige Training der Grundlagenausdauer, die Entwicklung eines positiven Körpergefühls und eine regelmäßige Regeneration.

Kennt man seine aerobe und anaerobe Schwelle und weiteren leistungsbestimmenden Parameter, lassen sich die Belastungen im Training und am Tag X mit den entsprechenen technischen Geräten perfekt steuern. Was aber, wenn die Sportuhr bereits beim Schwimmen im Wasser verloren geht oder der Radcomputer ausfällt?

BESTE WETTKAMPFSTRATEGIE

Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, Trainingseinheiten nicht nur nach banalen Zahlen und zu häufig digital zu absolvieren, sondern möglichst oft nach Körpergefühl draußen zu trainieren, um die Zusammenhänge der Zahlen zu verstehen. Verwende Sportuhr, Radcomputer, Herzfrequenz- und Leistungsmesser wie Werkzeuge, denn sie sind auch genau nur das. Lerne den Zusammenhang zwischen den Meßwerten und deinem Körpergefühl für Intensität und Speed unter verschiedenen äußeren Bedingungen richtig zu interpretieren. Wie unterscheiden sich leichte, moderate und intensive Belastungen? Denn das macht Dich unabhängig und vor allem flexibel. Die beste Wettkampfstrategie.

Versuche im Training, ganz egal für welche Distanz und in welcher Disziplin konsequent ein Gefühl für deine Geschwindigkeit zu entwickeln, die Du am Tag X schwimmen, fahren oder laufen möchte. Das heißt selbstverständlich nicht, dass Du stets mit Race Pace trainieren sollst. Aber der Schlüssel für eine echte, nachhaltige Verbesserungen besteht darin, die Vorbereitungszeit auch dafür zu nutzen der eigenen Geschwindigkeit und der Belastung vertrauen zu lernen.

AB UND ZU DAS DISPLAY ABKLEBEN

Ich lege großen Wert darauf, regelmäßig ohne Uhr zu laufen oder ohne Radcomputer mit dem Rennrad zu trainieren. Im Schwimmtraining hat die Uhr ohnehin nichts am Handgelenk zu suchen. Das immer besser werdende Körpergefühl für Tempo und Intensität hilft besser einschätzen zu können, wie lange man unterwegs ist und weit stark man sich belasten kann. Je fitter man wird, um so genauer wird das Körpergefühl innerhalb einer Trainingseinheit. Wer dennoch weiter Daten sammeln möchte, klebt einfach ab und zu das Display ab.

Je mehr Körper und Geist im Einklang sind, umso besser lässt sich die geplante Intensität der jeweiligen Trainingseinheiten erreichen, ohne die Zahlen zu kennen. Wirklich zu spüren, was im Körper während intensiver Belastungen vorgeht und auch zu verstehen, könnte im Wettkampf den entscheidenden Unterschied ausmachen.

DAS KÖRPERGEFÜHL MACHT DEN UNTERSCHIED

Es gibt Athlet*innen, die können wie ein Uhrwerk rennen und liefern zuverlässig exzellente Leistungen ab. Man kennt ihre Zahlen und weiß ungefähr, an welcher Position sie aus dem Wasser kommen, wie viel Watt sie treten und welche Splits sie laufen. Ist die Konkurrenz allerdings einmal stärker, bleibt ihnen wenig Spielraum nach oben und sie haben kaum eine Antwort. Ihre körperliche Leistungsfähigkeit ist auf Kante genäht. Es fehlt ihnen der Mut etwas zu riskieren, um noch etwas härter und schneller zu rennen, aus Angst zu überziehen, weil sie ihrem Körper nicht vertrauen, es mangelt an Körpergefühl. Ihr Rennen orientiert sich ausschließlich an den Zahlen ihrer Sportuhr und ihres Radcomputers. Aber Triathlon ist keine Mathematik, wer Grenzen verschieben möchte, der muss schneller als 100% rennen und braucht dafür weniger Technik und mehr Gefühl für Körper und Geist.

Wer also nur innerhalb der ihm bekannten Werte das Ziel erreichen oder eine neue persönliche Bestzeit aufstellen möchte, der teilt sein Rennen einfach nach den Zahlen ein. Wer seine Grenzen aber verschieben möchte, wenn’s hart wird oder spitz auf Knopf steht, der hat mit einem guten Körpergefühl die Möglichkeit, bisher geltenden Leistungsgrenzen zu durchbrechen. Das könnte im Ziel dann der entscheidende Unterschied zwischen einem Platz auf dem Stockerl und einer Teilnahmemedaille sein.

ÜBRIGENS

Die Absurdidät einer einzig an Zahlen ausgerichteten Wettkampfstrategie eskaliert in der Berechnung der Wettkampfverpflegung auf die Kommastelle genau. Nicht auszudenken, was mit sämtlichen vorab akribisch berechneten Werten für Watteistung und Kohlenhydrataufnahme geschieht, wenn unverhersehbare Ereignisse, wie eine Panne oder ein Wetterumschwung die Renndauer verlängern. Wahrscheinlich ein emotionales Desaster für die oder den Athlet:in. In diesem Sinne, frohes Schaffen und bleibt gesund.

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