Vieles im Leben eines Ausdauersportlers lässt sich Woche für Woche, Monat für Monat oder Jahr für Jahr wiederholen. Das tägliche Lauftraining, das regelmässige Schwimmtraining im Verein oder die wöchentliche Rennradrunde mit den Freunden. Für manche Dinge bietet sich vielleicht nur einmal im Leben die Gelegenheit, die man dann unbedingt auch Nutzen sollte. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit dem richtigen Wetter. An dem Ort, von dem man schon lange, schon seit seiner Jugend träumt: Dem Col de Tourmalet.

 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Spätsommerliches Wetter sorgt für angenehme Wärme auf dem Weg in die Pyrenäen © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Spätsommerliches Wetter sorgt für angenehme Wärme auf dem Weg in die Pyrenäen © stefandrexl.com

Es war einer dieser besonderen Herbsttage, Nebel an der französischen Atlantikküste, Sonne in den Bergen. Im Morgengrauen sind wir von der Cote Basques ins Landesinnere gefahren, in das kleine Städtchen Lourdes, wenige Kilometer hinter Pau am Fusse der Pyrenäen. Am Gave de Pau, der sein Wasser aus den Haute Pyrénées bezieht, parken wir unser Auto. Wir laden die Rennräder aus und ziehen uns an. Die Sonne strahlt, es ist noch etwas frisch. Die Bidons in den Flaschenhalter rein und rollen los, die ersten Kilometer zum warm werden, ganz locker durch den französischen Walfahrtsort. Es ist ein ganz besonderer Ort, für mich ist es vor allem ein besonderer Tag, auf den ich lange gewartet habe. Oft geplant, noch öfter verschoben. Es wird sicher keine Walfahrt, aber der Berg ist mindestens so heilig und legendär. Zumindest unter leidenschaftlichen Rennradfahrer.
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die lange Anfahrt über Bagnères-de Bigorre bis zum Anstieg © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die lange Anfahrt über Bagnères-de Bigorre bis zum Anstieg © stefandrexl.com


 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Im Bergdorf Saint-Marie-de-Campan geht's rechts ab, hinauf zum Col du Tourmalet © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Im Bergdorf Saint-Marie-de-Campan geht’s rechts ab, hinauf zum Col du Tourmalet © stefandrexl.com

SALZ IM KAFFEE – COFFEIN UND INSPIRATION

In den 80er-Jahre war es für mich Ispiration und Motivation zugleich: Das Buch „Salz im Kaffee“ von Hans Blickensdörfer. Ich habe es verschlungen, viele Male. In Blickensdörfers Roman geht’s um einen talentierten Nachwuchsprofi im Radsport. „Fast alle glauben“, Bud hätte „beim Griff nach den Sternen geschummelt und mit Dynamit nachgeholfen, mit unerlaubten Substanzen, mit Doping.“ Das Selbstbewusstsein des jungen Radprofis ist trotz einiger Etappensiege entsprechend instabil. „In dem kleinen Pyrenäendorf Pau gewinnt Bud wieder den Glauben an sich selbst zurück: Das Gespräch mit einem greisen Schmuggler verleiht ihm neue Willenskraft, um auf dem sagenumwobenen Tourmalet das Gelbe Trikot der Tour de France anzugreifen. Ob er dennoch auch die Stärke besitzt, um all den Verlockungen des Star-Rummels zu widerstehen…?“
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die Freude ins Gesicht geschrieben auf dem Weg bergauf © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die Freude ins Gesicht geschrieben auf dem Weg bergauf © stefandrexl.com

DER TOURMALET, EIN JUGENDTRAUM

„Blickensdörfers augenzwinkernder Einblick in das Seelenleben des größten Radrennens der Welt“ lässt den Leser in die Emotionen eintauchen.“ Ganz besonders die Kapitel um die Tage im baskischen Etappenort Pau und der Ritt über den Tourmalet haben langfristige Auswirkungen auf die Karriere des jungen Romanhelden. Diese Kapitel haben meine Leidenschaft zum Radsport ebenso langfristig geprägt und diesen einen Berg nachhaltig in mein Gedächtnis gebrannt. Seit meiner Jugend habe ich zahlreiche bekannte Strassenpässe mit der Rennrad bezwungen, manche sogar mehrfach. Darunter das Sella Joch, der Stelvio oder der Albula. Es war jedes Mal ein besonderes Erlebnis. Dennoch schlummerte in den hintersten Serpentinen meines Kopfes dieser eine Gedanke, dieser eine Berg: Der Col du Tourmalet.
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Der Blick hinunter ins Tal mit der langen Rampe von Saint-Marie-de-Campan © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Der Blick hinunter ins Tal mit der langen Rampe von Saint-Marie-de-Campan © stefandrexl.com


 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die weitläufigen Hänge mit freiem Blick über den Wintersportort La Mongie nach Spanien bei bestem spätsommerlichen Wetter © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die weitläufigen Hänge mit freiem Blick über den Wintersportort La Mongie nach Spanien bei bestem spätsommerlichen Wetter © stefandrexl.com

LANGE RAMPE OHNE VERSCHNAUFPAUSE

Mit 2115 Metern über dem Meeresspiegel ist er der höchste asphaltierte Straßenpass der französischen Pyrenäen. Er liegt auf der Nordseite der Pyrenäen und verbindet Saint-Marie-de-Campan mit Luz-Saint-Sauveur. Höher ist nur noch der Port d’Envalira mit 2407 Metern im Prinzipat Andorra. In der Zeit, als noch lange kein Mensch mit einem Rennrad die Route wählte und sich Wolf und Bär „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“ im Parc National des Pyrénées sagten, stammt der Name des Tourmalet, der „schlechter Weg“ bedeutet.
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Das steilste Stück mit 15% kurz vor der Passhöhe © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Das steilste Stück mit 15% kurz vor der Passhöhe © stefandrexl.com


 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Es ist vollbracht – Gipfelglück auf der Passhöhe © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Es ist vollbracht – Gipfelglück auf der Passhöhe © stefandrexl.com


1910 wurde der Col du Tourmalet erstmals von der Tour de France überquert. Wir verlassen Lourdes und fahren in östliche Richtung über einen kleinen Ansteig nach Bagnères-de-Bigorre und weiter in die Berge hinein. Der Himmel ist blau, ein warmer Wind bläst über die Pyrenäen und es ist kaum Verkehr. Die Strasse führt uns immer gerade aus bis nach Saint-Marie-de-Campan. In dem Bergdorf geht’s rechts ab und es beginnt mit 1400 Höhenmeter, durchschnittlich 7,5 Prozent Steigung die 18 Kilometer lange Rampe hinauf zum Tourmalet ohne einziger Verschnaufpause – die wenigen Serpentinen haben 12 – 15 Prozent.
 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die schroffe Wetsflanke mit der Abfahrt nach Luz-Saint-Sauveur © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die schroffe Wetsflanke mit der Abfahrt nach Luz-Saint-Sauveur © stefandrexl.com


 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Auf der Abfahrt nach Luz-Saint-Sauveur kreuzen Schafe den Weg © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Auf der Abfahrt nach Luz-Saint-Sauveur kreuzen Schafe den Weg © stefandrexl.com

WENN NICHT JETZT, WANN DANN

Ich könnte jetzT so weiter schreiben und unsere erstmalige, persönliche Etappe über den Tourmalet ausführlichen beschreiben. Es wäre eine weitere Beschreibung des legendären Pyrenäen-Passes. Es gibt darüber unzählige Geschichten, Erzählungen und Beschreibungen. Doch Du solltest Dir Deinen Traum selbst erfüllen und diesen besonderen Berg selbst erleben. Vielleicht werde ich an anderer Stelle darüber berichten, wenn ich eine weitere Gelegenheit bekomme den Tourmalet mit dem Rennrad zu fahren und sogar noch den Col d’Aubisque. Denn er steht auch noch auf meiner To-Do-Liste.
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Der glückliche Blick zurück zum Pyrenäen-Gipfel © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Der glückliche Blick zurück zum Pyrenäen-Gipfel © stefandrexl.com


 
COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die verdiente Erfrischung mit einem Panaché artisanal © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die verdiente Erfrischung mit einem Panaché artisanal © stefandrexl.com

DAS BESTE ZUM SCHLUSS

Nur so viel sei erzählt: Es war wunderbar und die Abfahrt hinunter nach Luz-Saint-Sauveur einfach traumhaft. Kurz vor Pierrefitte-Nestalas war dann ein Tunnel aufgrund von Bauarbeiten für Radfahrer gesperrt. Ein freundlicher Bauarbeiter meinte, ich hätte zwei Optionen: Die Umleitung über den Tourmalet oder einen Autofahrer zu fragen, ob er mich und mein Rennrad durch den 300 Meter langen Tunnel mitnimmt. Ich lachte unglaubwürdig, doch er meinte es ernst. Währenddessen kam ein älterer Baske aus seinem Kleinlaster zu uns rüber und meinte spontan, ob er helfen könnte. Er packte mein Rad in seinen Wagen, zum Glück nicht in den Anhäger mit den vier Schafen und brachte mich auf die andere Seite. Die Strasse windete sich durch die engen Schluchten entlang des Gave de Pau, bis sich allmählich das Tal immer weiter öffnete und die Sonne auch wieder die Strasse erreichte. Nach 101 Kilometern erreichten wir wieder Lourdes, die Freude über diese wunderbare Tour durch die Pyrenäen war gross. Ich hatte mir mit dem Coll du Tourmalet endlich einen langen Jugendtraum erfüllt.
 

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Zurück in Lourdes mit gemeinsamer Freude über den erfüllten Jugendtraum © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Zurück in Lourdes mit gemeinsamer Freude über den erfüllten Jugendtraum © stefandrexl.com


FIN

 

HISTORY

 
MONSIEUR JEAN RAOUL PAUL 1869-1960

Der französischen Ingenieur war Ehrendirektor der Compagne Du Midi und einer der wichtigsten Förderer der Erschliessung der Route Pic durch die französischen Pyrenäen. Zu Ehren von Jean-Raoul Paul ist am Pass des Col du Tourmalet eine Bronzetafel angebracht.
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EUGENE CHRISTOPHE 1885-1970

Die französische Radsportlegende erlitt am 9. Juli auf der Abfahrt vom Col du Tourmalet während der Tour de France 1913, als Gesamtführender, einen Gabelbruch als Folge eines Sturzes. Nach 14 Kilometer Fussmarsch reparierte Christoph seine Gabel selbständig in einer kleine Schmiede im Bergdorf Saint-Marie-de-Campan, ohne Zuhilfenahme Ditter, ganz entsprechend des Reglements, so dachte er. Dennoch erhielt der Franzose aufgrund der Hife von Aussen eine dreiminütige Zeitstrafe vom Renndirektor: Eine kleiner Junge hatte den Blasebalk während des Schmiedens betätigt, um das Feuer am Brennen zu halten. Eugene Christophe kam Stunden nach den Ersten im Etappenziel Bgnères de Luchon an, aussichtslos auf den Gesamtsieg und erreichte Paris als Siebter gesamt. Sein bestes Ergebnis einer Tour de France war der zweite Platz 1912 mit drei Etappensiegen. 1919 war Eugene Christophe der erste Träger des neu eingeführten, gelben Trikots. Mit 41 Jahren beendete die französische Legende 1926 seine Radsportkarriere. In Saint-Marie-de-Campan, am Fusse des Anstiegs zum Col du Tourmalet steht in Anerkennenung und Erinnerung an seinen couragierten und leidenschaftlichen Fahrstil eine lebensgrosse Bronzestatue mit der reparierten Gabel nach oben gestreckt in seiner Hand.
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COL DU TOURMALET Ein Jugendtraum mit dem Rennrad / Die Statue der Radsportlegende Eugene Christophe im Bergdorf Saint-Marie-de-Campan © stefandrexl.com

COL DU TOURMALET Ein JugendtCol du Tourmaletraum mit dem Rennrad / Die Statue der Radsportlegende Eugene Christophe im Bergdorf Saint-Marie-de-Campan © stefandrexl.com


 
ALPHONSE STEINES 1873-1960

Der Luexemburger war Initiator der ersten Etappe durch die Pyrnenäen und über den Col du Tourmalet während der Tour de France 1910. Alphonse Steines war 1924 unter anderem Mitgründer der Association Internationale de la Presse
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OCTAVE LAPIZE

Am 21. Juli 2010 überquerte Octave Lapize in Führung liegend als erster Radsportler den Col du Tourmalet, der während der 8. Etappe erstmals Teil der Tour de France war. Bevor es auf der 326 Kilometer langen Etappe von Luchon nach Bayonne auf den höchsten Strassenpass hinauf ging Octave Lapize erst den Col de Peyresourde und den Col d’Aspin erklimmen. Le Géant du Tourmalet, wie ihn die Frnzosen nennen, zu deutsch Der Gigant des Tourmalet, holte im weiteren Verlauf auch den Gesamtsieg der achten Tour de France. In Gedenken an Octave le Géant steht auf der Passhöhe während der Sommermonate eine überdimenisionale Skulptur des französischen Radrennfahrer, die bei meiner Premiere, aufgrund des nahenden Winters, bereits abgebaut war.
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HASHTAGS

#TOURMALET
#TDF
#RidingMountains
#KillTheHill
 

KOORDINATEN

KOORDINATEN Col du Tourmalet
 

QUELLEN

WIKIPEDIA Col du Tourmalet
TOUR Magazin
QUAELDICH Online Magazin
Hans Blickensdörfer, Autor
Salz im Kaffee, COVADONGA Verlag
 

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PHOTOCREDITS

Stefan Drexl