von Martin Fladerer

Aufhören oder weiterstrampeln, das fragt sich gerade eine Vielzahl von Athleten. Die Corona-Krise stellt die Saisonplanung und den Trainingsalltag komplett auf den Kopf – schwierige Zeiten für Athleten. Wenn du dich auch fragst: Wie trainiere ich jetzt weiter? Und warum überhaupt? Dann können die folgenden Erkenntnisse aus der Psychologie und Sportpsychologie für dich und dein Training nützlich sein.

Kennst du die alte Geschichte der zwei Frösche, die in einen Sahnetopf fielen? Nein? Dann möchte ich sie dir kurz erzählen: Es fielen einmal zwei Frösche in einen Sahnetopf. Die zwei Frösche wurden sich schnell ihrer misslichen Lage bewusst. Sie fingen an zu strampeln, doch bewegten sich nicht vom Fleck. Der eine Frosch gab bald auf – Warum sich weiter abrackern? – und versank in der zähen Masse. Der andere Frosch aber paddelte und paddelte bis, ja bis er eines Moments Widerstand unter seinen Schenkeln spürte: Die Sahne hatte sich allmählich in Butter verwandelt … kurz darauf konnte sich dieser Frosch mit einem kräftigen Sprung aus seiner misslichen Lage befreien.

Auch wir Athleten stecken aktuell in einer misslichen Lage: Schwimmbäder sind geschlossen, Vereinstrainings entfallen, Wettbewerbe werden abgesagt (z.B. Challenge Roth). Das ist für viele enttäuschend und für einige frustrierend. Manch einer mag sogar wütend darüber sein. Auch das ist verständlich. Gleichzeitig möchte ich sagen, dass es in dieser Krise um mehr als persönliche Erfolge und PBs geht. Das sollte uns im Moment allen bewusst sein. Sport bleibt dennoch die schönste Nebensache der Welt und leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesunderhaltung. Aus der Geschichte der zwei Frösche lassen sich drei Botschaften – und viele psychologische Tipps für dein Training – erkennen: (1) die Naheliegende, (2) die Verborgene, und (3) die Unerzählte.

DIE NAHELIEGENDE: WEITERMACHEN LOHNT SICH!

Der zweite Frosch zeigte etwas, das wir als Resilienz bezeichnen. Resilienz ist die Fähigkeit von Personen, bei Problemen und in Krisen widerstandsfähig zu bleiben und diese Herausforderungen als Chance zu nutzen. Eine Extrembeispiel ist wohl der Franzose, der kurzerhand den abgesagten Barcelona Marathon auf seinen Balkon verlegte. Jeder von euch kennt wahrscheinlich jemanden, der gerade „locker weiter trainiert“ und, „das Ganze eigentlich super findet.” Doch um ein „Einfach weiter so!“ geht’s es bei Resilienz nicht. Es ist bedeutend, hinzuschauen und zu akzeptieren, dass es eine Herausforderung gibt, die Handlung bedarf. In der Geschichte kommen beide Frösche zu dem Schluss, dass ihre Situation aussichtslos sei, dennoch verhalten sie sich in der Folge unterschiedlich: Aufhören vs. weiterstrampeln.

Wenn es dir nun eher wie dem ersten Frosch geht und dich die aktuelle Situation demotiviert und du sogar die Saison abbrechen möchtest – „Warum sich weiter abrackern?” – dann versuche über zwei Aspekte nachzudenken: deine Wahrnehmung und deinen Handlungsspielraum. Zum einen kannst du kritisch deine Wahrnehmung hinterfragen: Ist die Lage tatsächlich aussichtslos und kannst du absolut nichts daran ändern? Ist die Saison tatsächlich komplett gelaufen? Ist jedes Training jetzt wirklich nutzlos? Diese Fragen sind bewusst suggestiv formuliert, denn sie legen nahe, dass „die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos” ist.

Daraus ergibt sich zum anderen die folgende Überlegung für deinen Handlungsspielraum: Worauf hast du aktuell Einfluss und worauf nicht? Welche Möglichkeiten hast du weiterhin für dein Training? Wie kannst du jetzt bestmöglich weitertrainieren? Schwimmen geht nicht, klar. Aber du kannst noch immer Radfahren, Laufen sowie deine Athletik, Stabilität und Flexibilität trainieren. Du kannst dir ebenso bewusst machen, und dass bei allem Respekt und Ernst der aktuellen Lage, dass diese Situation auf eine gewisse Art im Grunde gar nicht so ungewöhnlich ist. Denn es ist doch eher die Regel als die Ausnahme für viele Athleten, dass Saisonplan A nicht aufgeht: „Was ist also dein Plan B und C?”

DIE VERBORGENE: WISSEN WARUM, WISSEN WIE

Die Geschichte zeigt uns nur eine Momentaufnahme der beiden Frösche. Sie zeigt uns, wie resilient die Frösche in dieser einen Situation sind. Das sagt uns aber nichts darüber, warum und wieso der eine Frosch gerade resilienter ist als das andere. In der ausführlichen Version der Geschichte sagt der zweite Frosch zu sich: „Bevor mein letztes Stündlein nicht geschlagen hat, werde ich keine Sekunde herschenken“. Es hat eine klare Antwort darauf, warum und wozu es durchhält und weiterstrampelt. Genauso können wir uns in der aktuellen Situation fragen: Warum mache ich Sport? Für viele werden Wettkämpfe und Platzierungen nicht im Vordergrund stehen, sondern andere Dinge, wie zum Beispiel: die Freude an der Bewegung, das Erleben, etwas zu schaffen (Kompetenzerleben), und die Struktur im Alltag.

Diese drei exemplarischen Funktionen kann der Sport auch in der aktuellen Zeit weiter erfüllen. Resilienz hat also etwas mit dem Warum zu tun und darüber hinaus mit dem Wie. Wenn ich weiß, wie ich etwas bewältigen kann, dann werde ich es auch eher in Angriff nehmen. Das Wie sind in diesem Falle Ideen, wie du dein Training der aktuellen Situation anpassen kannst. Einige Profis zeigen diese, ihre situativ angepassten Ideen auf YouTube, wie zum Beispiel Team Charles-Barclay. Diese Profis teilen ihren individuellen Umgang mit der Situation und wie sie ihr Training und ihre Übungen ihrer aktuellen Lage anpassen. Es ist entscheidend sich stets daran zu erinnern, dass diese Trainingseinheiten auf die persönlichen Anforderungen dieser Profis, deren Möglichkeiten und individuellen Ziele strukturiert abgestimmt sind.

Weiterstrampeln in herausfordernden Zeiten im Triathlon – Am Besten gemeinsam © sugarandpain.de / Adobe Stock
Weiterstrampeln in herausfordernden Zeiten im Triathlon – Am Besten gemeinsam © sugarandpain.de / Adobe Stock

Du solltest deine Situation reflektieren, genau überlegen, was zu dir und deinen persönlichen Anforderungen und vor allem deinen Leistungsvoraussetzungen passt, anstatt eins-zu-eins das Training und Verhalten von Profiathleten zu kopieren. Wenn du jetzt einen Coach an deiner Seite hast, könnt ihr gemeinsam deine neuen Saison- und Trainingsziele formulieren und die Trainingsinhalte strukturiert auf deinen Plan B oder Plan C ausrichten. Das Training wird dadurch individuell und spezifisch auf deine persönlichen Bedürfnisse in der veränderten Situation angepasst. Darum gilt, Weiterstrampeln, aber bitte mit Köpfchen – und am Besten nicht alleine.

DIE UNERZÄHLTE: LEICHTER GEHT’S ZUSAMMEN!

Wenige beachten in der Geschichte den ersten Frosch, der bald aufgibt und sang- und klanglos untergeht. Stellen wir uns vor, der zweite Frosch hätte den Ersten an die Hand genommen (im metaphorischen Sinne) und ihn zum Weiterstrampeln ermutigt, sie wären wohl doppelt so schnell und vor allem gemeinsam aus dem Topf entkommen. In der aktuellen Situation müssen wir uns zwar physisch, also körperlich auf Distanz begeben, doch wir sollten uns nicht sozial distanzieren und „einigeln”. Für viele ist sozialer Anschluss eine wichtige (oft vergessene) weitere Funktion des Sports und darüber hinaus ein menschliches Grundbedürfnis. Daher möchte ich bewusst als Appell formulieren: Bleib mit anderen Athleten, mit deiner Trainingsgruppe und mit deinem Coach in Verbindung.

Es gibt viele digitale Möglichkeiten sich auszutauschen, zu unterstützen und sogar zusammen Sport zu machen: ein gemeinsamer Ride auf ROUVY, SUFFERFEST, TrainerRoad oder ZWIFT, eine digitale Trainingsstunde mit deinem Coach über TEAMS oder ZOOM, oder ein gemeinsamer SKYPE-Brunch mit deiner Trainingsgruppe. Nicht nur diejenigen, die aktuell aufhören möchten weiter zu strampeln werden davon profitieren, sondern auch die Impulsgeber! Kurz und knapp: Weiterstrampeln – am Besten zusammen.

Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels.

DER AUTOR

Martin Fladerer ist promovierter Psychologe. Er lehrt und forscht an der TU München und LMU München zu Kommunikation, Teamprozessen und Führung. Das Wir steht für Martin im Mittelpunkt. Neben seiner Tätigkeit an der Universität ist Martin als Coach und Teamentwickler für Zielgruppen aus Sport und Wirtschaft tätig. Er betreut sportpsychologisch unter anderem LeichtathletInnen und TriathletInnen.

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