Noch immer herrschen einige verwirrende Ansichten über den richtigen Kraularmzug und über die richtige Zug- und Druckphase des Kraulschwimmens. Dabei ist erst eine gute Kraultechnik der Schlüssel zum Erfolg, achtzig Prozent ist ihr Anteil an der Schwimmleistung. Aber auch für die Erhaltung der Gesundheit ist sie bedeutend. Doch welcher Kraularmzug ist richtig? Was sind die Unterschiede zwischen dem S-förmigen und dem geradlinigen Zugbild? Wir klären auf.

Im Jahr 1844 hat The Times erstmals den Kraularmzug im Rahmen einer Sportberichterstattung erwähnt.1 Zwei US-Amerikanische Schwimmer wirbelten während eines Wettbewerbs in London ihre Arme wie Windmühlen vor dem Körper. Dabei strampelten sie gleichzeitig mit ihren Füßen und düpierten so die gesamte Konkurrenz. Die britische Schwimmwelt war schockiert, galt bislang einzig der Brustarmzug als schnellster Schwimmstil.

MYTHOS WIDER PYSIKALISCHER PRINZIPIEN

Generationen von Schwimmern arbeiten seitdem an der richtigen Kraultechnik, um den heute schnellsten Schwimmstil zu perfektionieren. Vieles wurde ausprobiert, analysiert und wieder verworfen, erfolgreiches hat sich etabliert. Einige Missverständnisse halten sich bis heute jedoch hartnäckiger als fundierte sportwissenschaftliche Erkenntnisse. Mancher Mythos wird am Beckenrand von einigen Trainern leider noch immer gelehrt oder von vielen Schwimmern selbst trainiert.

Das betrifft neben der Wasserlage ganz besonders den Kraularmzug2 und die korrekte Unterwasserphase. Zum Glück hat sich der hohe Ellbogen im heutigen Kraulschwimmen weitgehend rumgesprochen, das beste Zugmuster hingegen wird noch immer intensiv diskutiert. So, als könnte man sich den Gesetzen der Physik widersetzen. Vor allem der S-förmig beschriebene Weg der Hand unter Wasser wird dabei gerne zitiert. Er steht somit im Kontrast zum logisch richtigen, direkten und kürzesten Weg des geradlinigen Kraularmzugs.

FRONT CRAWL STROKE  S-Stroke vs. I-Stroke / Welcher Kraularmzug ist besser, S-Kurve oder direkter Weg? Graphischer Vergleich NEU © sugarandpain.com
FRONT CRAWL STROKE S-Stroke vs. I-Stroke / Welcher Kraularmzug ist besser, S-Kurve oder direkter Weg? Graphischer Vergleich NEU © sugarandpain.com

INEFFIZIENZ DES S-FÖRMIGEN WEGS

Mit der Zugeinleitung des S-förmigen Armzugs bewegen sich Hand und Unterarm erst nach außen, um Wasser zu schöpfen. Dann ziehen beide nach innen unter den Körper, um anschließend wiederum nach außen zum Oberschenkel bis zum Verlassen des Wassers zu drücken. Durch den ständigen Richtungswechsel sollten sich angeblich die Rücken- und Schultermuskeln stärker nutzen lassen und etwas mehr Kraft erzeugt werden können. Allerdings ist dadurch zum einen der Weg länger und in Konsequenz die Armzugfrequenz niedriger. Es geht der Hand mit jedem Richtungswechsel immer wieder beschleunigtes Wasser verloren, das anstatt nach hinten zu den Seiten mal nach außen, mal nach innen gedrückt wird. Der S-förmige Armzug erschwert aber auch das geradeaus Schwimmen im Freiwasser. Nicht nur darum ist er weder effizient noch praktikabel.

DER DIREKTE WEG: KÜRZER UND SCHNELLER

Ein geradliniger Kraularmzug mit hohem Ellbogen hat hingegen ganz entscheidende Vorteile. Nach dem Gegenwirkungsprinzip „Actio gleich Reactio” erzeugt der direkte Weg eines geradlinigen Kraularmzugs mehr Vortrieb bei gleichem Energieaufwand gegenüber dem S-förmigen. Voraussetzung ist dafür natürlich die technisch richtige Umsetzung. Das erste Drittel unter Wasser bildet die Grundlage eines effizienten Armzugs mit seinem kraftvollen Abdruck. Dafür braucht es eine gut trainierte Technik und Muskulatur von Schulter und Arme. Im Sinne der Prävention vor Überlastungen empfehle ich das ohnehin, auch im Trockenen. Darum sollte im Schwimmtraining der direkte Weg der Hand auf einer möglichst geraden Achse von der Zugeinleitung bis zur Druckphase mit Verlassen am Oberschenkel konsequent geübt werden. Weil der direkte Weg der Hand gegenüber dem S-förmigen Kraularmzug kürzer und schneller ist, erlaubt der Geradlinige auch eine höhere Armzugfrequenz. Mit dem geradlinigen Kraularmzug ist es auch wesentlich leichter, die Schwimmrichtung im Freiwasser beizubehalten. Das macht diese Kraultechnik effizienter.

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NACHTEILE S-FÖRMIGER KRAULARMZUG

  1. längerer Weg, längere Bewegungsdauer
  2. max. 80% Energie für Vortrieb
  3. max. 80% Wasserbeschleunigung
  4. min. 20% höherer Schwimmwiderstand
  5. kaum Frequenzerhöhung möglich
  6. schwierige Erhaltung der Schwimmrichtung
  7. hoher Energieverlust
  8. höhere Belastung für Schulter

EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE

ABER, woher kommt das Missverständnis? Aus der Perspektive des Schwimmers betrachtet, könnte der Bewegungsverlauf des Kraularmzugs tatsächlich einer gewissen Kurve erscheinen. Der Grund dafür liegt allerdings in dessen synchronisierter Körperrotation um die Längsachse während des Armzugs. Die technisch saubere Körperrotation unterstützt einerseits die Kraftentwicklung des Kraularmzugs und stabilisiert andererseits die Wasserlage. Sie verbessert die Strömungseigenschaften des Schwimmers. Wird der direkte Kraularmzug allerdings zusammen mit der Gesamtbewegung des Kraulschwimmens von außen betrachtet, so erkennt man, dass sich die Hand im Wasser auf einer beinahen geraden Linie am Schwimmer vorbeibewegt wird. Beziehungsweise wird der rotierend Körper geradewegs an der Hand vorbeigezogen, die letztendlich fix im Wasser verankert (bildhaft) sein sollte. Dies kann, abhängig vom individuellen Schwimmstil auch in einem leichten Bogen geschehen, denn im Wasser fehlt ein festes Widerlager zur Verankerung der Hand.

In diesen Zusammenhang wichtig ist auch der Kraularmzug im vorderen Quadranten des Bewegungszyklus.

Dieser „falschen“ Perspektive aus Sicht des Schwimmers könnte der Grund der Fehlinterpretation eines S-förmigen Armzugs geschuldet sein. Man hat bei dieser Betrachtung des Kraularmzugs schlichtweg die Körperrotation ignoriert. Der Bewegungsablauf des Kraularmzugs wurde isoliert betrachtet. Ursächlich könnte dafür gewesen sein, dass damals noch keine Videoanalyse unter Wasser möglich war.

VORTEILE GERADLINIGER KRAULARMZUG

  1. direkter Weg, kürzere Bewegungsdauer
  2. 100% Energie für Vortrieb
  3. maximale Wasserbeschleunigung
  4. Frequenzerhöhung möglich
  5. geradere Schwimmrichtung
  6. ökonomischer, kraftsparend
  7. nachhaltiger, gesünder

STETER TROPFEN HÖHLT DEN STEIN

Für wenig erfahrene SchwimmerInnen scheinen die beiden Stile nicht allzu verschieden zu sein, doch die Effekte für die Schwimmleistung und Verletzungsprophylaxe sind gravierend. Ich lasse darum ausschließlich den geradlinigen Kraularmzug trainieren und lege großen Wert auf die korrekte Ausführung der Zugeinleitung mit hohem Ellbogen. Nach dem Prinzip der Regelmäßigkeit und Konsequenz wird auch nur dann während Wettkämpfen unter intensiven Belastungen ein optimaler, geradliniger Kraularmzug möglichst lange stabil umgesetzt werden können. Von einem bewussten Training eines S-förmigen Armzugs muss ich dringend abraten.

Eine sehr gute Technikübung für den geradlinigen Kraularmzug mit hohem Ellbogen ist der einarmige Kraularmzug in der Seitenlage.

ÜBRIGENS

Die Bezeichnung „Kraulschwimmen” kommt vom englischen „Front Crawl Swimming” und wurde erstmals von Richmond „Dick” Cavill3 gegen Ende des 19. Jahrhunderts verwendet. Der australische Schwimmer beschrieb seine Fortbewegungstechnik ähnlich eines Kriechens (engl.: crawling) durch das Wasser. Für einen ersten Durchbruch des modernen Kraulschwimmens sorgte der amerikanische Schwimmer Duke Kahanamoku4. Der Hawaiianer gewann 1912 die Goldmedaille über 100 Meter Freistil bei den olympischen Sommerspielen in Stockholm. Durchgesetzt hat sich Kraulschwimmen letztendlich als Johnny Weissmüller5, der spätere Darsteller von Tarzan, die 100 Meter erstmals unter einer Minute geschwommen ist.

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QUELLEN

1 Britischer Schwimmverband The Amateur Swimming Association
2 Wikipedia
3 Richmond „Dick” Cavill
4 Duke Kahanamoku
5 Johnny Weissmüller